2012/03: Offener Brief an die Steirische Friedensplattform

6. März 2012

Ihr habt die rote Linie überschritten!

Liebe Friedensplattform!

Seit 28.2.2012 befindet sich auf eurer Homepage der antisemitische Beitrag des Rechtsaußen-Publizisten Eberhard Hamer „Es riecht nach Krieg“. In diesem Artikel behauptet Hamer, dass es eine Verschwörung der „US-Hochfinanz“ und ihrer „Weltpresse“ gebe, die den Angriff auf den Iran vorbereitet. Eine solche Pressekampagne habe bereits die Kriege gegen den Irak, Afghanistan sowie den Sturz Mubaraks im Interesse Israels vorbereitet. Auch die „orange Revolution“ in der Ukraine habe die „britische Hochfinanzvertreterin Timoschenko“ mit Hilfe der CIA durchgeführt. Momentan fördere die erwähnte Verbindung aus US-Regierung, „Hochfinanz“ und „Weltpresse“ gerade die „Destabilisierung“ Syriens. Der Aufstand in Syrien gehe von „fremden Mächte“ aus, damit Israel „auch die Nordflanke frei“ habe und „sich voll gen Osten richten“ könne.
Abschließend heißt es: „Eigentlich will – außer Netanyahu – niemand in der Welt, dass sich der Konflikt in der Welt an Iran entzündet und zum Krieg wird … Entscheidend wird sein, ob sich der Friedensnobelpreisträger Obama trotz Wahlkampf dem Kriegsdruck der US-Hochfinanz, ihrer Weltpresse, der Ölindustrie, der Rüstungslobby, des Militärs und Israels widersetzen kann.“

Mit diesem Beitrag habt ihr die rote Linie zum Antisemitismus deutlich überschritten. Der Ausdruck „Hochfinanz“ ist seit Jahrzenten einer der gebräuchlichsten antisemitischen Codes für Juden und Jüdinnen. Im von euch publizierten Text wird dieser Begriff auch noch zusammen mit dem Konstrukt einer einheitlichen „Weltpresse“ genannt, die der Kontrolle dieser „Hochfinanz“ untersteht und israelischen Interessen dient.  Dadurch  ist selbst für Personen, die die antisemitische Bedeutung von „Hochfinanz“ nicht auf Anhieb verstehen, klar, dass hinter dieser angeblich allmächtigen Clique – die die „Weltpresse“ beherrscht und die US-Politik hinter sich hat – irgendwie „Juden“, „Zionisten“ oder Israelis stehen sollen.

Der Beitrag stammt von Eberhard Hamer, einem Publizisten, der normalerweise für rechtsaußen und rechtsextreme Zeitungen wie „Aula“, „Ostpreußenblatt“ und „Junge Freiheit“ schreibt. Er ist Gründungsmitglied der deutschen Organisation „Stimme der Mehrheit“, die sich Ende der 90er Jahre öffentlich  u.a  gegen den „epidemischen Sozial- und Asylmissbrauch und den weiteren Zuzug von Ausländern“ (Zitat) wandte. Hamer fällt seit Jahren durch rassistische und antisemitische Verschwörungstheorien auf, in deren Zentrum eine angebliche Weltherrschaft durch die „Hochfinanz“ steht, die er wiederrum mit „jüdischen“ Bankhäusern in Verbindung setzt.

Zitate von Hamer: „Die US-Hochfinanz treibt die Welt systematisch in die Zinsknechtschaft.… Dieses Geld ist die Macht, mit welcher die US-Hochfinanz die gesamte Welt beherrscht, sich dienstbar macht und diejenigen, welche ihr Geld angenommen haben, zu Zinssklaven macht.“ Oder: „Drogenorganisationen und andere gewerbliche Anwerber klären im Ausland über die Vorzüge unseres Sozialsystems auf und machen das erste Geschäft mit denen, die sich zum Sozialtourismus entschließen. Kaum auf deutschem Boden, brauchen die Sozialtouristen nur mit dem Zauberstab Asyl zu winken, um die Voraussetzungen für einen jahrelangen Sozialurlaub in der Bundesrepublik Deutschland zu erfüllen. Dass dieser Urlaub nicht zu kurz wird, dazu helfen ihnen mehr als 1000 spezialisierte Asylanwälte, von denen einige schon vorher wissen, welche Sozialtouristen mit welcher Maschine ankommen und Asyl rufen werden.“ (http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=327, http://www.zeit.de/1988/49/zeitlese)

Freilich: Das muss man/frau über Hamer nicht gewusst haben. Aber dass der Text, den ihr publiziert, antisemitisch ist, hätte euch auffallen müssen.
Jahrelang habt ihr jede Kritik am eurem nachlässigen bis ignoranten Verhältnis gegenüber dem Antisemitismus als prozionistisches Engagement bezeichnet und abgewehrt. Selbst wenn ihr – wie im Fall unserer Gruppe – nicht den geringsten Hinweis hattet und habt, wie wir über die Nahostpolitik denken, habt ihr uns proisraelische Parteinahme unterstellt und damit jede ernsthafte Auseinandersetzung mit antisemitischen Diskursen vermieden.

Das Ergebnis dieser Haltung ist nun, dass ihr rechtsextreme antisemitische Codes übernehmt und es nicht einmal merkt! Dass ihr Verschwörungstheorien aus der rechtsextremen Ecke veröffentlicht und nichts dabei findet!

Am 25.1.2012 habt ihr einen Text veröffentlicht, in dem das Ölembargo der EU gegen den Iran auf den Einfluss einer „zionistischen Lobby in den eigenen Regierungen“ zurückgeführt wurde. Schon damit seid ihr – vor allem in Zusammenhang mit euren verharmlosenden, teils gorifizierenden Texten über das diktatorische System im Iran und über Präsident Ahmadinedschad – in eine gefährliche Nähe zu antisemitischen Diskursen gekommen. Jetzt habt ihr mit der Veröffentlichung von Hamers Text aber die Grenze dessen, was man/frau kommentarlos hinnehmen kann, überschritten.

Um unser Anliegen klarzustellen: Wenn ihr absurde Verschwörungstheorien verbreiten wollt, ist das eure Sache. Wenn ihr Texte veröffentlicht, in denen steht, dass es im Iran, wo auf „Feindschaft gegen Gott“ die Todesstrafe steht und religiöse Minderheiten wie die Bahai seit Jahren verfolgt werden, Religionsfreiheit gäbe, ist das bedauerlich, aber nicht das Thema, mit dem wir uns jetzt befassen. Wenn ihr auf die brisante Situation zwischen Iran und Israel hinweist und vor einem Angriff auf den Iran warnt, wenn ihr die Politik Israels und seiner rechtsextremen Regierung kritisiert, ist das legitim.

Aber antisemitische Konstrukte und Andeutungen dürfen in einer Szene, die sich emanzipatorischen oder friedenspolitischen Inhalten verpflichtet fühlt, keinen Platz haben und auch nicht Gegenstand von Diskussionen sein, ob das denn noch akzeptabel wäre. Die Verwendung antisemitischer Codes ist weder rechtfertig- noch entschuldbar.

Wir fordern euch auf, den Text von Eberhard Hamer unverzüglich von der Homepage zu entfernen.

Wir fordern jene, die mit der Friedensplattform zusammenarbeiten, auf, eine klare Grenzziehung und eine ernsthafte Auseinandersetzung der Friedensplattform mit dem Problem des Antisemitismus einzufordern und nicht länger die bisherige Ignoranz zu dulden.

Mayday 2000 Graz

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