2010/02: Weil sie den Antifaschismus nicht dem Staat überließen

Größter Naziaufmarsch Westeuropas verhindert!

Dieses Ereignis konnten auch die Mainstream-Medien nicht verschweigen: Antifaschistisch gesinnte Menschen hatten erstmals den sog. Trauermarsch anlässlich der Bombardierung Dresdens, zum dem jährlich etwa 10 000 Neonazis anreisen, verhindert. Doch was nicht sein darf, ist offiziell nie geschehen: So berichteten die meisten deutschen und österreichischen Medien fälschlicherweise, dass eine symbolische Menschenkette den Zug der Neonazis gestoppt habe. In Wirklichkeit hatte eine Massenaktion des zivilen Ungehorsams, die im Vorhinein verboten und kriminalisiert worden war, die Nazis am Marschieren gehindert: Etwa 12 000 Leute blockierten eine ganzen Tag lang die Straßen rund um den Treffpunkt der Rechtsextremen am Bahnhof Dresden-Neustadt. Weit weg vom Ort des Geschehens hingegen fand die so prominent erwähnte Menschenkette auf Einladung der Oberbürgermeisterin statt, eine symbolische Geste, deren InitiatorInnen nicht willens waren, sich den Nazis in den Weg zu stellen.

Doch offenbar sind symbolische Gesten das einzige, was dem Durchschnittsbürger/in an Formen des Protests zugemutet werden kann. Dass Tausende Menschen den Antifaschismus selbst in die Hand nehmen und sich mit Massenblockaden nicht nur gegen die Nazis, sondern auch gegen die Behörden stellen – das sollten die LeserInnen und HörerInnen hier wohl nicht mitbekommen. Vielleicht, damit nur ja niemand auf die Idee kommt, es auch mal zu versuchen?

Auch aus Österreich und aus Graz hatten einige AntifaschistInnen an der Blockadeaktion teilgenommen und der erste Unterschied, der uns gegenüber den heimischen Verhältnissen auffiel, war die breite zivilgesellschaftliche Beteiligung. Den Aufruf zu den Blockaden unterstützten PolitikerInnen von Die Linke, die Grünen und der SPD, Gewerkschaften, KünstlerInnen, Pfarrer und Bürgermeister genauso wie autonome Antifagruppen. Als die Behörden die Mobilisierung verboten, in ganz Deutschland Tausende Plakate beschlagnahmten, Webseiten sperrten und Wohnungen, Infoläden und Büros durchsuchten, hat sich niemand von ihnen distanziert, im Gegenteil: Bundestagsabgeordnete begleiteten daraufhin die Plakatiertrupps.

Als am 12. Februar die von den Behörden genehmigte Route des Nazimarsches feststand, galten zugleich sämtliche vom Bündnis „Gemeinsam Blockieren“ angemeldeten Kundgebungen als verboten. Krampfhaft versuchte die Polizei Dresden zu teilen: Jenseits der Elbe, in der Altstadt, sollten sich die AntifaschistInnen aufhalten, und in der Neustadt wurde die Demoroute für die Neonazis festgelegt mit einem Sammelpunkt am Bahnhof Neustadt.
Die Strategie schlug zur Gänze fehl: Tausende Menschen waren bereits in aller Früh zu den Blockadepunkten unterwegs, schlichen sich teilweise über Böschungen und unter Brücken an den Polizeiabsperrungen vorbei und gegen 11 Uhr waren alle wichtigen Straßen, die vom Bahnhof wegführten, blockiert. Busse aus den Bundesländern fuhren direkt zu den Blockaden und wurden auf der Straße als Blockademittel abgestellt. AktivistInnen erkletterten die Zugleise und brachten den Bahnverkehr zum Erliegen. Ganze Familien und alle Generationen waren bei den BlockiererInnen vertreten: Die Oma, die sich erklären ließ, wie sie sich am Besten vor „Pepperballs“ – Kugeln, die mit Pfefferspray gefüllt sind und am Körper explodieren – schützte, waren ebenso vertreten wie die schwarzgekleidete Autonome oder der Gewerkschaftsfunktionär.

An dieser Stelle erinnern wir an die untersagte Demonstration gegen den Ball des Wiener Korporationsrings am 29.1., als es nur einige PolitikerInnen der Grünen wagten, die DemonstrantInnen zu unterstützen, und als die sozialdemokratische GewerkschafterInnen (Shame on you, FSG!) genau jene PolizistInnen mit Essen versorgten, die gerade Jugendliche der eigenen Parteijugend krankenhausreif prügelten.

Die Polizei in Dresden war mit Räumfahrzeugen, Wasserwerfern, Pfefferspray und Schlagstöcken aufgefahren, doch letztlich umzingelten 12 000 Menschen mit Blockaden den Treffpunkt der Neonazis (an den größeren Punkten hielten sich jeweils zwischen 2000 und 4000 Menschen auf).

Die Rechtsextremen, die zum Teil aufgrund der blockierten Gleise in Zügen außerhalb Dresdens festsaßen, reagierten schließlich ab Mittag auf die für sie völlig unerwartete Situation: In Gruppen zu Hunderten sammelten sie sich und zogen auf der Suche nach den Schuldigen für ihre desaströse Lage durch die Stadt: Dabei kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit Linken, wenn Gruppen von AntifaschistInnen auf Nazis trafen und umgekehrt, bei denen es Verletzte, zum Teil auch Schwerverletzte gab. Am Nachmittag meldete das Inforadio, dass Neonazis das „Autonome Zentrum“ angegriffen hatten. Zeitweise bedrohten die frustrierten Nazitrupps auch die Blockaden, doch Versuche, mit Bussen durchzubrechen, scheiterten, und so manche Busse fuhren danach ohne Scheiben weiter. Die Polizei, die völlig überfordert war, räumte schließlich eine kleinere Blockade und geleitete etwa 2000 Neonazis aus dem Norden der Stadt zum Bahnhofsvorplatz, wo sie zusammen mit den KameradInnen, die mit den Zügen angereist waren hinter Sperrgittern auf ihre Demonstrationserlaubnis warteten.

Vergeblich: Was immer letztlich der Grund für die behördliche Entscheidung war – die großen Blockaden wurden nicht geräumt. Um 17 Uhr wurde die Demonstration der Neonazis endgültig abgesagt, und sie wurden wieder in ihre Züge und Busse verfrachtet. Hunderte von ihnen ließen noch ihren Frust an den Adressen bekannter AntifaschistInnen in der Umgebung aus.

Zum ersten Mal hatte eine gesellschaftliche Zivilcourage, die diesen Namen wirklich verdient, einen Naziaufmarsch verhindert, und das war letztlich das wesentliche Ereignis dieses Tages: So sehr wir uns auch freuten, dass wir es geschafft hatten, uns ist klar, dass die Gesellschaft, ob die deutsche oder österreichische, weder antirassistischer noch weniger nationalistisch wurde, weil einmal Neonazis einen Marsch nicht durchführen konnten. Die linke Kritik am sog. „weichen Geschichtsrevisionismus“, der eine deutsche Opferlegende aufbaut, die den Hintergrund von Vernichtungskrieg und Shoah ausblendet, war auch unter den BlockiererInnen nicht mehrheitsfähig. Diese Kritik in die Öffentlichkeit zu tragen, war nur bei einer Demonstration am Vorabend möglich.

Aber die Mündigkeit, die sich am 13.2. zeigte, ohne staatliches Empfehlungsschreiben Neonazismus als Neonazismus zu benennen und aktiv das Überschreiten dieser roten Linie zu verhindern, ist bereits etwas, das den österreichischen Verhältnissen gut tun würde.

MayDay Graz, Graz, 16.02.2010